«Es ist nicht leicht, sich in eine Biene hinein zu fühlen»

Wer auf einem Areal wie dem Felsenrain Stadtplanung betreibt, muss an unzählige Variablen denken. Architekt Simon Kretz fühlt sich gelegentlich auch in die lokale Fauna hinein.

 

Als Sie das Areal Felsenrain zum ersten Mal angeschaut haben mit dem Auftrag, hier eine gemeinsame Siedlung mit Alters- und Familienwohnungen zu planen: Was waren Ihre Gedanken?

Ich muss gestehen, ich kannte den Ort bereits gut. Zum einen wohne ich nebenan, zum anderen habe ich mehrere Jahre im ETH-Gebäude in unmittelbarer Nähe gearbeitet.

 

Dann hatten Sie also einen Vorsprung gegenüber den anderen im Testplaner*innenteam.

Ein bisschen, wobei ich in all den Jahren das Areal selber nie betreten habe. Der Ort hat zwei komplett verschiedene Charaktereigenschaften. Er liegt einerseits zentral, neben dem Bahnhof Seebach und unweit der Tramhaltestelle, selbst der Bahnhof Oerlikon ist nur ein paar Gehminuten. Andererseits ist der Felsenrain aber auch versteckt. Diese beiden Eigenschaften sind eine tolle Grundvoraussetzung. Sich gleichzeitig zeigen und verstecken. Das ist eine originelle Übergangsparzelle.

 

Nach einer einfachen Aufgabe klingt das allerdings nicht.

Testplanungen macht man nie dort, wo bereits alles klar ist. Wir sind dort tätig, wo es schwierig ist. Das ist typisch für den heutigen Städtebau. Die Schweiz ist komplex.

 

Also ist der Felsenrain ein typisches Stück Schweiz?

Ja, sehr. Ein typisches Stück Stadt Zürich, sogar. Zürich ist die Schweiz, einfach etwas dichter.

 

Sie gehören einem von zwei Architekturbüros an, die an der Testplanung arbeiten. Wie teilen Sie sich auf?

Bei gewissen Aufgaben gar nicht, die lösen wir wirklich alle gemeinsam. Zum Beispiel Entwurfsworkshops. Dort sitzen auch die Landschaftsarchitektur und die Soziologie mit am Tisch. Ein paar Tätigkeiten haben wir aufgeteilt. Wir beschäftigen uns zum Beispiel vor allem mit Volumendispositionen, Modellen, rechtlichen Abklärungen und strategischen Entscheidungen. Das andere Büro hingegen mit Nutzungsverteilungen und ihren Konsequenzen für das Projekt. 

 

Hat man bei der Betrachtung eins Areals nicht schnell einmal das Gefühl: So muss das aussehen, so könnte es funktionieren.

Klar, im Verlauf der Zeit schält sich das heraus.

 

Und irgendwann trennt man sich dann wieder von Ideen?

Ja, gerade in der ersten Phase hat man viele Bilder im Kopf. Dann gleicht man sie ab, diese imaginären Versuchsballone. Mit der Zeit verfestigen sie sich. Die Bedingungen werden klarer. Mit der Zeit weiss man: Ist ein Bestandesgebäude schützenswert, oder hilft es, wenn eine Nachbarliegenschaft mitmacht oder nicht? Die externen Variablen führen immer wieder zu Anpassungen, damit verändern sich auch die Bilder. Man muss geistig flexibel bleiben, darf sich nicht zu früh fixieren.

 

Schaut man als Planer bei einem solchen Prozess durch verschiedene Brillen?

Immer. Das ist ja unser Geschäft. Wenn man in diesem Job Übung hat, kann man gut wie ein Kind, eine Mutter, ein älterer Menschen denken. Aber ich versuche mich auch in ein Tier hinein zu fühlen. Ich habe mir zum Beispiel vorgestellt, eine Eidechse zu sein im Gleisschotter der S-Bahn-Strecke. Oder ein Stadtfuchs in der Nacht, wie auch ein Igel in der Wildhecke. Wie würde ich den Ort als Biene wahrnehmen? Es ist nicht leicht, sich in eine Biene hinein zu fühlen. Igel oder Fuchs fühle ich mich kognitiv näher.

 

Im Laufe dieser Testplanung finden regelmässig Workshops in grösserer Runde statt. Dort präsentieren Sie Ihre Arbeit und erhalten darauf von verschiedener Seite Feedback. Wie wichtig sind diese Rückmeldungen?

Extrem wichtig. Diese Tage sind wie Entwurfsworkshops. Es kommen so viele gute Inputs. Es sind eben nicht nur Evaluationen, sondern auch Ideen. Es fühlt sich an, wie gemeinsames Entwickeln. Diese Runden bringen uns wirklich weiter. Bilder verändern sich, neue Probleme tauchen auf. Es kommt zu einer Verdichtung. Ohne diese Workshop-Runden kämen wir kaum so gut voran. Hier kommt alles zusammen, in den Tagen davor befassen wir uns intensiv mit unserer Arbeit, hinterher diskutieren und reflektieren wir die Ergebnisse. Der grösste Teil der Arbeit geschieht in den drei, vier Wochen rund um diese Workshops.

 

Wir befinden uns nun bereits hinter der Mittellinie dieses Prozesses. Wie ist der Stand der Dinge vor dem letzten der drei Testplanungs-Workshops?

Wir haben eine städtebauliche Konzeption mit stabilisierten Eckwerten. Das sind etwa zehn benennbare Punkte. Sie sind bereits geografisch verortet, also weit mehr als bloss abstrakte Ziele. Dazu kommen Variablen, also offene Punkte. Um diese Variablen auszuloten, haben wir zwei verschiedene Varianten gezeichnet. Beide sind eigenständige Interpretationen der selben Eckwerten. Offen sind gewisse strategische Fragen, etwa ob eine Nachbarin mit ihrer Parzelle mitmacht oder nicht. Andere sind qualitativ, etwa die Frage: Wie durchmischt sollen Familien und ältere Menschen wohnen? Uns ist wichtig, dass wir in diesen Workshops unsere Unsicherheiten darstellen können. Wir wollen kein Abnicken. Wir wollen Fragen stellen, und Dinge gemeinsam erörtern.

 

Simon Kretz

Hat an der ETH Zürich Architektur studiert und mit einem Doktorat abgeschlossen. Seit 2010 arbeitet er als selbständiger Architekt und Städtebauer, ausserdem in der Lehre und Forschung. Er ist Partner von Salewski Nater Kretz, einem von zwei Büros, die mit der Testplanung Felsenrain betraut sind.

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«Man kann trotz Verdichtung wertvolle Flächen schaffen»

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