«Beim Felsenrain öffnet sich der Raum erstmals»

Albert Frölich ist seit über 30 Jahren Seebacher und präsidiert den Quartierverein. Er spricht über Veränderungen im Quartier - und die Rolle, die dabei der Siedlung Felsenrain zukommen wird.

 

Herr Frölich, sind Sie so etwas wie der Hüter der Quartierinteressen?

Das ist ein grosses Wort. Als Präsident des Quartiervereins ist es meine Aufgabe, mich permanent und interessiert mit der Entwicklung von Seebach auseinanderzusetzen. Dazu gehört eben auch die Einsitznahme in Mitwirkungsprozessen wie diesen. Wir Präsidentinnen und Präsidenten der Quartiervereine haben allerdings keine politische Macht und auch keinerlei Weisungsbefugnisse gegenüber der öffentlichen Verwaltung. Wir wirken durch unsere Präsenz, durch unsere Äusserungen und dadurch, dass wir einbezogen werden.

 

Sie sprechen die Entwicklung an. Von wo nach wo entwickelt sich Seebach?

Nur noch die älteste Generation erinnert sich daran, dass dieses Gebiet hier mal einen dörflichen Charakter hatte. Mit den Jahren wurde das Quartier städtischer, grosstädtischer sogar. Ich selber habe das alte Seebach nicht mehr erlebt, wir sind erst in den Ende der Achzigerjahre hierhergezogen. Was man sieht, hört und spürt, ist die stetige Bevölkerungszunahme aus dem In- und dem Ausland. Und natürlich, dass vormals grüne Landreserven überbaut werden und dass alte Gebäude Ersatzneubauten weichen.

 

Seebach war früher als Arbeiterquartier bekannt, richtig?

Nicht nur das. Noch vor 15 Jahren, wenn meine Kinder erzählten, dass sie in Seebach wohnten, kam zur Antwort: Das ist doch voll im Ghetto. Es gab tatsächlich Sicherheitsprobleme, die Jugendgewalt war damals ein emotional aufgeladenes Thema, insbesondere unter Eltern. In anderen Stadtquartieren konnte man wenig mit Seebach verbinden. Wir standen schon früher im Schatten von Oerlikon, wo das Hallenstadion, die Messe oder die offene Rennbahn liegen. Hinzu kommen heute der ausgebaute Bahnhof als wichtiger Verkehrsknotenpunkt und die etwas breitere Auswahl an Verkaufsgeschäften.

 

Und in Seebach gab es nichts Nennenswertes?

Flächenmässig ist Seebach grösser als Oerlikon – es wird hinsichtlich Ausdehnung und Vielfältigkeit oftmals unterschätzt. Die Frage, wo die Grenzen des Quartiers verlaufen, ist immer wieder ein Thema. Viele Leute wissen das nicht. Was zeichnet das Quartier aus? Da ist zum Beispiel ein hoher Anteil an Genossenschaftswohnungen, Grünbereichen und ein erstaunlicher Facettenreichtum bezüglich Siedlungsformen. Aber klar, historisch gesehen war alles jenseits des Milchbucks weit weg. Und wir sind hier sogar noch jenseits von Oerlikon. Die Quartierzeitung in Zürich Nord trug lange den Namen "Die Vorstadt".

 

Kommt man mit dem 14er-Tram angefahren, wirkt der Felsenrain ein bisschen wie das Tor zum eigentlichen Seebach.

Er ist der erste offene Raum in Seebach Süd – ich nenne den Ortsteil mal so. Tatsächlich beginnt das Quartier beim Bahnhof Oerlikon Ost, nördlich der Binzmühlestrasse. Auch die «berühmt-berüchtigte» Friesstrasse gehört dazu, mit ihren Schischa-Bars. Allerdings ist ein Übergang von Oerlikon zu Seebach für das Auge nicht erkennbar. Erst beim Felsenrain öffnet sich der Raum erstmals.

 

 Offen ist er, aber sonderlich viel Leben pulsiert hier nicht.

An schönen Sommertagen sieht man vielleicht Leute, die in der grünen Emil-Oberhänsli-Anlage ihr Sandwich essen, zum Teil auch Mütter oder Väter mit Kindern.

 

Es könnte noch etwas mehr draus werden.

Ja. Da kommt die Siedlung Felsenrain ins Spiel. Vor allem, wenn dort auch Familien mit Kindern einziehen.

 

Ist das auch Ihr Ziel in diesem Mitwirkungsprozess, dass mehr aus dem Ort wird?

Ich denke schon, ja. Es sind in diesem Verfahren ganz viele fachliche Perspektiven vertreten, mit Leuten aus der Architektur, der Wohnungsvermietung und anderen Disziplinen. Sie stellen die Innen- und auch die Expertensicht. Meine Funktion ist der Blick von aussen. Ich frage mich: Wie wird eine neue oder erneuerte Überbauung daherkommen, wie gut integriert sie sich ins Quartier? Wie gelingt es, dass die Bewohnerinnen und Bewohner sich auch als Teil des Quartiers sehen und in Seebach zu Hause fühlen?

 

Sie waren in allen Gremien vertreten, auch in den Workshops. Hatten Sie den Eindruck, die anderen Teilnehmer*innen haben das Quartier verstanden? Oder mussten Sie gelegentlich auf den Tisch klopfen und sich räuspern?

Gerade vonseiten der Fachleute kam die Frage: Wo sind wir eigentlich? Ist das Seebach oder noch Oerlikon? Oder gar so etwas wie Niemandsland dazwischen? Da habe ich natürlich eine klare Haltung: Auch wenn die historische Gemeinde Seebach als solche nicht mehr erkennbar ist, lebt sie in vielen Köpfen, oft unbewusst, weiter. Darauf kann man aufbauen. Spannend an den Planungsworkshops fand ich, dass die Teams bei der natürlichen Umgebung angefangen haben. Sie haben die Topografie studiert und die Lage des früheren Mühleweihers, den es heute nicht mehr gibt, in die Betrachtungen miteinbezogen.

 

In den letzten zwei Jahrzehnten entstand mit Neu-Oerlikon ein ganzes Wohnquartier angrenzend an Seebach. Das muss doch einen ziemlichen Einfluss auf Ihr Quartier gehabt haben.

Ja, durchaus. Aber es blieb ein Ding für sich. Für viele in Seebach ist Neu-Oerlikon eher ein abschreckendes Beispiel. Riesige Fenster, die dann aber häufig mit Sichtblenden verbarrikadiert sind. Das sind Beispiele dafür, wie man es nicht haben möchte.

 

Das neue Quartier hat doch auch Positives gebracht: Spielwiesen, offene Aufenthaltsräume, eine Schule.

Klar, die Kritik bezog sich auf die Wohnbauten. Oft wird das Erscheinungsbild der Siedlung als steril bezeichnet.

 

Wohin orientieren sich die künftigen Felsenrainer*innen, eher Richtung Oerlikon oder Seebach?

Ich denke, das ist mal so, mal so. Nehmen wir das Beispiel Einkaufen: Wer Coop lieber hat, geht nach Oerlikon, Migros-Kinder werden in Seebach einkaufen. Das sind unemotionale Entscheidungen. Ich selber wohne auf der Leutschenbacher Seite von Seebach. Dort gehen nun viele in die Migros Glattpark. Das heisst, sie verlassen zum Einkaufen sogar städtischen Boden. Früher war das alles anders, da gab es noch viel mehr lokales Gewerbe.

 

Das heisst, vom Felsenrain gesehen, sind beide Richtungen eine Option?

Im Alltag sicher. Die Frage wird sein, wohin die Kinder in die Schule gehen, wo die Läden stehen, die man bevorzugt. Und für einige auch: Wo liegt meine Kirche. Wo trifft man sich?

 

Wie haben Sie in den vergangenen Monaten das Mitwirkungsverfahren und die Testplanung zum Felsenrain erlebt?

Ich muss sagen, von allen Partizipationsprojekten, in die ich bisher involviert war, ist das hier das aufwändigste aber auch das informativste. Es war von Anfang an ein grosser Einsatz spürbar. Nüchtern betrachtet, hat mich das etwas verwundert. Es geht hier um eine vergleichsweise kleine Fläche, in die viel Zeit investiert wird. Dies dürfte wohl wesentlich dem Projekt selbst, der Kombination von Alterswohnungen mit Wohnungen für kinderreiche Familien geschuldet sein.

 

Was bleibt kurz vor der Ziellinie bei Ihnen hängen?

Im Moment vor allem, dass wir durchaus die Problematik der gemeinsamen Belegung durch Alterswohnungen und Familienwohnung angesprochen haben. Es war lange eine grosse «Durchmischungs-Euphorie» spürbar. Nun sprechen wir auch wieder darüber, dass stärkere Belebung auch ein Störungspotenzial hat. Nicht alle älteren Leute mögen Kinder um sich herum. Begegnung ist gut, aber man kann sich auch gestört fühlen.

 

Es gibt auch die Haltung, dass der Felsenrain nicht eine Siedlung für alle Senior*innen sein muss. Sondern halt eine für solche, die ein etwas lebendigeres Umfeld schätzen.

Das ist natürlich eine mögliche Sichtweise. Vielleicht braucht es hier einen bestimmten Menschentypen. Leute, denen eine gewisse lebendige Unruhe wichtiger ist als ein konstant ruhiges Umfeld.

 

Allen alles bieten, ist schwierig. Frage zum Schluss: Wo sehen Sie Seebach in 20 Jahren?

Im Moment deutet vieles darauf hin, dass das heute sichtbare Wachstum weitergeht. Mit Ersatzneubauten, Aufstockung und steigenden Bodenpreisen. Die Bevölkerung wird noch internationaler und multikultureller werden. Die Herausforderung wird darin bestehen, für die ganze Seebacher Bevölkerung eine gute Lebensqualität zu erhalten. Mein Anliegen ist, dass man massvoll und mit hoher Qualität verdichtet. Es besteht zum Beispiel ein Zielkonflikt zwischen Verdichtung und Hitzeminderung. Das muss transparenter gemacht werden. Man spricht über flankierende Massnahmen wie Begrünung oder Wasserspiele. Aber das Grundproblem beim kompakten Bauen ist, dass die Belüftung gegenüber dem heutigen Zustand fast immer schlechter wird. Daher sage ich: Verdichten darf kein Selbstzweck sein, es braucht Mass und Qualität.

 

Albert Frölich

Studierte Biologie und dissertierte über Toxikologie. Die letzten 14 Berufsjahre verbrachte er beim Umwelt- und Gesundheitsschutz der Stadt Zürich (UGZ) als Leiter Luftreinhaltung. Nach zehn Jahren im Vorstand des Quartiervereins Seebach ist er seit seiner Pensionierung vor einem Jahr dessen Präsident. Er lebt seit 1989 in Seebach, ist verheiratet und Vater von zwei Söhnen und einer Tochter im Erwachsenenalter.

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«Man kann trotz Verdichtung wertvolle Flächen schaffen»