«Die Stimmen wurden zu einem Konzert gebündelt»

Kornelia Gysel hat beim Mitwirkungsprozess die Weichen gestellt, als eine Art Regisseurin. Oder wie sie sagt: als Dirigentin.

 

Kornelia Gysel, Sie sind zwar Architektin, aber nicht Teil der Planungsteams. Wie würden Sie Ihre Rolle beschreiben?

Ich bin verantwortlich dafür, die Fäden zwischen der Bestellung und der Planung zusammenzuhalten. Projekte wie dieses sind enorm komplex und haben viele Anforderungen. Planungsteams haben darin Übung und ein sehr grosses Wissen, entsprechend müssen sie im Zentrum eines Projekt-Organigramms stehen, sie dürfen nicht am Rande angehängt sein.

 

 Sind denn bei Planungsprojekten die Planer*innen nicht immer im Zentrum?

Eben nicht. Häufig läuft es so ab: Auftraggeber*innen definieren die Bestellung, geben sie raus an die Planer*innen und wartet dann aufs Ergebnis. Doch Kreativität und Innovation kann man nicht einfach extern bestellen und dann die Lieferung in Empfang nehmen. In dem Bild, das wir als Architekt*innen entwickeln, sollten sich am Ende alle Beteiligten wiederfinden. Daher mache ich mich für Prozesse stark, in denen man immer wieder zusammenkommt und gemeinsam denkt. 

 

Dann ist das also der Grund, weshalb wir uns in den letzten Monaten dreimal in grosser Runde mit den Planungsteams zu Workshops getroffen haben?

Ja, genau. Wir haben die starren Rollen zwischen Besteller und Lieferanten bewusst aufgebrochen. Das ist sehr wertvoll. Denn bei den Bestellerinnen, also SAW und SWkF schlummert ganz viel Fachwissen, das man anzapfen muss. Ein Hauswart hat einen ganz anderen Blick auf eine Siedlung als eine Vermietungsstelle. Oder im Fall SAW die Spitex: Die Mitarbeiter*innen kennen die Mieter*innen enorm gut, sie sehen täglich in ganz viele Haushalte hinein. Aber nicht zuletzt sind auch ausnahmslos alle Beteiligten selber Wohnende irgendwo, in irgendeiner Konstellation. Jede und jeder von uns bringt hier Erkenntnisse mit. Wie gesagt: Kreativität entsteht im Austausch miteinander.

 

 

Ihr Ziel ist also, die Voraussetzungen zu schaffen, damit die nötige Kreativität entstehen kann?

Ich hatte dafür zu sorgen, dass wir ein methodisches, prozessuales Vorgehen haben, das sowohl die technischen als auch die inhaltlichen Anforderungen, die Wünsche der Auftraggeber*innen genauso wie die Rahmenbedingungen von Dritten aufnimmt. Ganz zu Beginn wurde ich angefragt, ob ich den Prozess begleiten möchte. Ich wollte aber nicht von aussen draufschauen, ich wollte mitgestalten.

 

 

Aber zu tief ins Detail konnten Sie mit Ihrem Gestaltungswillen dann doch nicht gehen. Sie sind ja Architektin, aber waren nicht Teil der Planungsteams.

Richtig, ich hätte auch als Planerin dabei sein können. Das mache ich in anderen Projekten auch. Aber hier war meine Aufgabe eine andere. Ich bin aber nicht einfach neutral, ich bringe mich ein. Vielleicht ist die Rolle vergleichbar mit derjenigen einer Dirigentin. Von Musik verstehe ich zwar nicht allzu viel…

 

 …aber vom Dirigieren?

Eine Dirigentin kennt das Stück und die Musiker*innen, hat Vorstellungen vom gewünschten Klang und vermittelt sie auch dem Orchester. Doch in dem Moment, in dem die erste Geige den Bogen führt, prägen diese und dahinter der Rest des Orchesters das Konzert. Von der Dirigentin selber hört man keinen Ton. Bezogen auf die Testplanung heisst das: Ja, vielleicht hätte ich persönlich ein paar Entscheidungen anders getroffen als die Planer*innen. Aber gesamthaft findet sich meine Arbeit als Teil des Ergebnisses. Ich freue mich darüber und trage dieses mit.

 

 Jetzt muss ich etwas ausholen: Ganz zu Beginn haben Sie einige Weichen gestellt, indem sie mit den Verantwortlichen von SAW und SFW Leitsätze definiert haben, die auch in 20 oder 30 Jahren noch Gültigkeit haben sollten. Ist es nicht schwierig, wenn Menschen der Gegenwart darüber reden, wie sich eine Seniorin oder ein Teenager in zwei, drei Jahrzehnten ticken wird?

Ein Stück weit ist das Planerinnenalltag. Wir arbeiten immer der Zeit voraus. Die Frage ist bloss: Mit welchen Annahmen? Meine persönliche Haltung lässt sich mit zwei Ansätzen umschreiben. Erstens müssen wir Grundbedürfnisse ernst nehmen, ohne sie in Klischees zu drücken. Damit meine ich, dass etwa Geborgenheit und Grundbedürfnisse im Wohnalltag, immer etwa die gleichen sein werden. Der Mensch bleibt Mensch, Rückzug und sozialen Austausch werden wir immer nötig haben, wobei die einen mehr Rückzug, andere mehr Geselligkeit brauchen. Der zweite Ansatz ist der strukturelle Zugang: Wir müssen Räume denken, die allgemein gültig sind, damit sie jeweilige Spezialitäten entwickeln und aufnehmen können. Es braucht also eine Robustheit sowohl auf der ideologischen als auch auf der planerischen Ebene. Wir müssen bei Räumen Qualitäten sichern, aber sie flexibel genug denken, damit sie anpassbar sind für sich verändernde Bedürfnisse.

 

 Wünsche zu erfüllen, die man noch nicht kennt, klingt nach einer kniffligen Aufgabe.

Wir können viele gute Angebote schaffen. Ich glaube, wir müssen uns bewusst sein, dass wir hier nicht universell für alle planen. Am Felsenrain muss nicht die ultimative Lösung für alle und jede*n entstehen. Es gibt zum Glück viele Siedlungen in Zürich, darunter sicher auch solche, die den Bedürfnissen des einen oder der anderen eher entsprechen. Auch alte Menschen und Familien wollen und suchen nicht alle dasselbe.

 

 Wir stehen nun kurz vor dem Ergebnisforum. Einige der Teilnehmer*innen haben im September Ideen und Bedürfnisse geäussert, waren aber seither nicht mehr involviert. Was glauben Sie, wird nun geschehen, wenn sie die Resultate sehen?

Am Ergebnisforum werden einige dabei sein, die auch in die Testplanung involviert waren. Diese grosse Schnittmenge ist wichtig, damit das Resultat am Ende tragfähig ist. Aber es stimmt, rund die Hälfte war seit vergangenem September nicht mehr involviert. Da kann es auch zu Irritationen und Missverständnissen kommen. Es ist die Aufgabe dieses Anlasses, an solchen Stellen Klärung zu schaffen und Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Um wieder zu meiner Dirigentinnen-Metapher zurückzukehren: Alle, die dabei sind, hatten ganz zu Beginn eine Stimme. Diese Stimmen hallen nicht mehr einzeln, sie wurden im Laufe der Monate zu einem Konzert gebündelt. 

 

Kornelia Gysel

Die Architektin und führt seit 2007 ihr eigenes Büro unter dem Namen Futurafrosch – Architektur und Raumentwicklung. Seither arbeitet sie zu gemeinschaftlichem und gemeinnützigem Wohnen, Gestaltung von Lebensraum sowie Raumentwicklung in der Stadt und im Dorf. Ihr besonderes Interesse gilt gesellschaftsrelevanten Aspekten des Bauens und der inhaltlichen Qualität eines Standortes. Für das Projekt «Felsenrain neu gewohnt» hat sie den Prozess entworfen und nahm eine Drehscheibenfunktion zwischen den beteiligten Stiftungen und weiteren Akteur*innen ein. (Foto: Elisabeth Real)

Zurück
Zurück

Gut zusammen leben

Weiter
Weiter

«Eine Zusammen-arbeit mit den Nachbarn wäre sinnvoll»